Ad hoc digital Lehren und Lernen: Planung eines „kontaktlosen“ Seminars, Teil II

Nachdem in der ersten Sitzung der Lehrveranstaltung der Rahmen für das Seminar im digitalen Sommersemester gesetzt wurde, soll nun mit den lern- und medienpsychologischen Grundlagen direkt in das Thema eingestiegen werden.

Die Probleme digitaler Kommunikation und die Gefahr der Passivität

Wie bereits zum Auftakt festgelegt, werden die Inhalte dabei überwiegend aus den Webinaren ausgegliedert und – neben der obligatorischen Lektüre – als separater Input in Form von Präsentationsaufzeichnungen bzw. Screencasts angeboten.

Auf diese Weise ist die Verständigung auf einen fürs Thema relevanten, von der Seminarleitung im Voraus abgesteckten Wissenshorizont grundsätzlich möglich; und das auch für Studierende, die aus persönlichen, familiären oder technischen Gründen nicht oder zumindest nicht regelmäßig an den Webinarsitzungen teilnehmen können.

Ein großes Problem, das sich aus dem Fehlen des physischen Zusammenfindens ergibt, bleibt jedoch bestehen: Das für Seminare idealerweise konstitutive Charakteristikum des gemeinsamen Erarbeitens und diskursiven Erschließens eines Gegenstandes ist in dieser stark passiven bzw. konsumptiven Form einer Lehrveranstaltung kaum mehr vorhanden.

So kann der Videochat zwar für eine Art des Austauschs und der Diskussion genutzt werden, die nicht nur dank der zeitlichen Unmittelbarkeit der Redebeiträge und der audiovisuellen Wahrnehmbarkeit der Redner*innen gegenüber der asynchronen, mithin trägen und distanzierten Kommunikation von Online-Foren im Vorteil ist, sondern durch den wiederholten Kontakt zu festen Terminen auch eine gemeinschaftsstiftende Funktion aufweist und für mehr Verbindlichkeit sorgt.

Dem steht entgegen, dass es in Webinaren mit mehr als zwei Teilnehmer*innen unvermeidbar ist, sich auf Regeln einer geordneten Kommunikation zu einigen. Selbstverständlich existieren diese im realen Seminarraum ebenfalls – dort ist es aber nicht unüblich, dass auf ein Melden der Student*innen und das Aufrufen durch die Seminarleitung verzichtet wird, um einen organischen Diskussionsfluss zu gewährleisten. Im Videochat indessen kommt es zu Audioproblemen, sobald zwei Teilnehmer*innen gleichzeitig versuchen zu sprechen. Dadurch ist es nötig, sich der Meldefunktion der jeweiligen Software oder alternativer Verfahren (beispielsweise einer begleitenden Rednerliste via Textchat) zu bedienen, um den Ablauf zu ordnen. Gemeinsam mit möglichen Latenzen aufgrund schwankender bzw. unterschiedlicher Übertragungsraten ergibt sich daraus eine reduzierte Kommunikationsgeschwindigkeit. Darüber hinaus kann es nötig sein, auf eine durchgehende Übertragung audio-visueller Daten jede*r Teilnehmer*in zu verzichten, um den Stream auch bei schwächerem Internet möglichst stabil zu halten. In Summe geht das „anarchische Miteinander“ einer lebhaften Diskussion verloren und weicht einem notwendigerweise reglementierten (moderierten) Nacheinander des Webinars, in welchem der Seminarleitung mehr als im Präsenzseminar die Aufgabe zukommt, die Diskussion anzuleiten und zu steuern. Die Gefahr dabei: Die Kommunikation geht, wenngleich nicht einseitig, aber überwiegend top down von der Seminarleitung aus und viele Teilnehmer*innen fühlen sich (verstärkt durch die ggf. nur bei Redebeiträgen aktivierte Bild- und Tonübertragung) weniger als direkt/unmittelbar Mitwirkende am Seminargeschehen.

Andere Sozialformen, die der Passivität entgegenwirken können, Arbeit zu zweit oder in Kleingruppen beispielsweise, ist bei vielen Software-Lösungen ebenfalls nicht ohne Weiteres möglich. Eine Ausnahme stellt diesbezüglich BigBlueButton dar.

BigBlueButton bietet die Möglichkeit, aus einem übergeordneten Chatraum heraus kleinere Chaträume zu eröffnen, in denen Gruppen miteinander arbeiten können, bevor man sich anschließend zur Präsentation und Diskussion der Ergebnisse wieder im übergeordneten Raum „zusammenfindet“.

Aber nicht nur die Präsentations- sowie die Kommunikationsweise bergen die Gefahr der Passivität der Teilnehmer*innen. Auch kann es für viele im Homeoffice schwerer sein, sich zu motivieren. Während man die Kommiliton*innen im normalen Hochschulalltag um sich hat und diese tatsächlich als “Mitstreiter*innen” wahrnimmt, kann die Isolation schnell ein Eindruck vermitteln, man stünde als Einzelkämpfer*in allein auf weiter Flur.

Kollaboratives (in unserem Falle onlinebasiertes) Arbeiten, ob synchron oder asynchron, unterstützt indessen die aktive Auseinandersetzung mit den Lerninhalten, fördert das Gefühl sozialer Eingebundenheit und bietet sich daher in diesem Sommersemester besonders an.

Analoge Lektüreauswertung vs. digitales kollaboratives Erarbeiten

Das analoge Seminarkonzept sah vor, dass die Teilnehmer*innen sich in Vorbereitung auf die Sitzung mit Texten zum Transfer-Modell des Medienpsychologen Jürgen Fritz auseinandersetzen. Dabei hätten sie zuvor unterschiedliche lektüreleitende Fragen erhalten, die zugleich die Grundlage der anschließenden Sitzungsdiskussion um die Tragfähigkeit des Modells sowie die Eignung digitaler Spiele in Bildungskontexten dargestellt hätten.

Da die Diskussion sämtlicher Aspekte des Transfer-Modells im Webinar aus oben genannten Gründen schwer möglich ist und um die aktive Auseinandersetzung mit dem Stoff bei erhöhter sozialer Eingebundenheit zu fördern, sollen die inhaltlichen Punkte in der Neu-Konzeption des Seminars bereits im Vorfeld, also im Zeitraum zwischen der Auftaktveranstaltung und dem zweiten Webinar, in kollaborativen Aufgaben online erarbeitet werden. Hierfür werden die Teilnehmer*innen drei Gruppen zugewiesen.

Gruppe 1 erarbeitet einen Wiki-Beitrag im ILIAS-Kurs. Dabei erhält jede*r Teilnehmer*in vorab einen Schwerpunkt des Modells in Form einer Aufgabe zugewiesen (z.B. “Nennen und beschreiben Sie die verschiedenen Ebenen, auf denen laut Fritz Transfers stattfinden können. Führen Sie zu jeder Ebene mindestens ein Beispiel an.”). Ziel ist es, einen kohärenten Wiki-Beitrag zum Transfer-Modell zu erstellen, was sinnvolle Übergänge zwischen den einzelnen Textbeiträgen miteinschließt. Für entsprechendes Feedback der Gruppenmitglieder untereinander kann die Kommentarfunktion des Wikis genutzt werden.

Gruppe 2 fertigt ergänzend eine Mindmap zu den wichtigsten Begrifflichkeiten (inter- und intramondialer Transfer, Transformationen, Rahmungskompetenz etc.) bei Fritz an, die anschließend in den Beitrag eingebettet werden soll. Hierfür werden sie auf frei zugängliche Mindmap-Anwendungen wie mind-map-online.de, mindmup.com oder mindmeister.de hingewiesen. Welches der Tools sie verwenden, ist ihnen freigestellt. Zur Kommunikation können die Gruppenmitglieder, sofern vorhanden, die Kommentar- bzw. Notiz-Funktionen der jeweiligen Software nutzen. Alternativ können sie auf ein Etherpad zurückgreifen, welches im ILIAS-Kurs für sie angelegt wird.

Gruppe 3 hat schließlich den Auftrag, die Arbeit der ersten beiden Gruppen zu prüfen, auf unentdeckte Widersprüche hinzuweisen und die Konsistenz der Beiträge – sowohl der Teile des Wikis untereinander als auch zwischen Mindmap und Wiki-Text – abzusichern. Hierfür nutzen sie ebenfalls die Kommentarfunktion des Wikis. Darüber hinaus sollen sie offene Fragen und sich aus der Kommunikation mit den Kommiliton*innen ergebende kontroverse Punkte sammeln und zu Diskussionsfragen und -thesen für das Webinar verdichten. Für die gemeinsame Arbeit an den Fragen können die Gruppenmitglieder ein eigenes Etherpad im ILIAS-Kurs verwenden.

Im Webinar gibt die Seminarleitung zunächst Feedback auf den Wiki-Beitrag samt integrierter Mindmap, bevor die Fragen und Thesen der dritten Gruppe gemeinsam diskutiert werden. Ziel des Seminars ist es, Antworten auf die Fragen, was und wie wir mit Spielen lernen und ob sich digitale Spiele für den Unterricht eignen, zu finden. Diskussionsverlauf und -ergebnisse werden nach dem Seminar als Protokoll im ILIAS-Kurs zur Verfügung gestellt, um vor allem jenen Student*innen entgegenzukommen, die nicht am Webinar teilnehmen konnten.

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