Wer beim Wort Prüfung immer noch an verzweifelte Studis denkt, die vor Stress schwitzend an ihren Pulten sitzen und mit Stift und Papier einen Kreuzeltest ausfüllen, ist wohl noch nicht mit zeitgemäßer Prüfungskultur in Kontakt gekommen. Spätestens seit den Online-Semestern und den Erfahrungen mit Distanz- und Wechselunterricht ist die Reflektion über die Validität und Angemessenheit der herkömmlichen Leistungsüberprüfungen in aller Munde. Die vielen verschiedenen Ansätze und Überlegungen zum Thema Prüfungskultur und alternative Prüfungsformate wurden von Anne Trapp aus der Universität Bielefeld, Christian Albrecht aus der Universität Erlangen-Nürnberg und Lehrerin Catrin Ingerfeld im Rahmen einer universitätsübergreifenden digitalen Seminarsitzung zusammengeführt. Letztere brachte drei ihrer Schüler:innen mit, welche in den vorgestellten Prüfungen Versuchskaninchen spielen durften und hier mit großer Bereitschaft zur kritischen Reflexion und zum Einbringen ihrer Expertise und Erfahrungsberichten zur Verfügung standen. Die Zuhörenden setzten sich aus Studierenden, Dozierenden und anderen Lehrkräften zusammen.
Nach einer kurzen Vorstellung und Einführung durch Benjamin Eugster vom [D-3]-Projekt begann Christian Albrecht mit einem Einblick in die ergänzenden Empfehlungen der Kultusminister Konferenz (KMK) zur Strategie „Bildung in der digitalen Welt“. Besonders erstaunlich war dabei der zentrale Stellenwert des 4K-Models, welches die wichtigsten zu prüfenden Kompetenzen für Schüler:innen zusammenfasst und in den Empfehlungen zur Prüfungskultur einen zentralen Stellenwert einnimmt. Die 4-Ks, Kommunikation, Kollaboration, Kreativität und kritisches Denken, könnten kaum stärker im Kontrast zum anfangs gemalten Bild von Prüfungen stehen. Auch ist es nicht abzustreiten, dass die klassischen Klausuren im universitären und schulischen Alltag Kollaboration und Kommunikation nicht nur nicht vorsehen, sondern gleichzeitig sogar sanktionieren. Somit muss eine Alternative her!
Frisch vom Schlachtfeld kommt hier Lehrerin Catrin Ingerfeld ins Spiel. Diese stellt ihre kollaborative Klausur zum Thema Erörterung im Deutschunterricht vor. Vier Themen zur Auswahl, 140 Minuten Arbeitszeit und die gesamte Wissenfülle des Internets und der Hefterinhalte standen zur Verfügung. Doch nicht nur das: Die Schüler:innen hatten die Möglichkeit, sich aus dem „stillen Klassenzimmer“ zu entfernen, eigenständige Pausen zu machen und vor allem sich von ihren Mitschüler:innen Hilfe geben zu lassen. Kollaboration und Kommunikation. Kritisches und reflektiertes Bewerten von recherchierten Quellen. Sinnvolle Arbeitseinteilungen. Was wie das verklärte Bild der Jobbeschreibung vom Google-Headquarter klingt, wird hier in diesem Klassenzimmer Realität.
Catrin Ingerfeld ist jedoch kein zweiter Mark Zuckerberg. Mit drei Schüler:innen im Gepäck rief sie die Studierenden und interessierten Lehrpersonen zum Reflektieren und Diskutieren auf. Besagte Schüler:innen wurden durch die Teilnehmenden so sehr mit Fragen durchlöchert, dass wir am Ende sogar leicht die Zeit überzogen. Aber im Gegensatz zu ewig langen Vorlesungen, wo schon ein kurzes Überziehen für Augenrollen sorgt, galt hierbei die Aufmerksamkeit ganz der interessanten Diskussion und dem anschließenden Erfahrungsaustausch, den Anne Trapp und Benjamin Eugster anleiteten.
Die unterschiedlichen Handlungsebenen der vorgestellten Prüfungsform wurden ganz klassisch in Breakoutrooms diskutiert. Zur Auswahl standen bis zu acht Themen, die von den Teilnehmenden ausgewählt werden konnten. Das Schwarminteresse punktierte sich allerdings an drei Aspekten, welche scheinbar den größten Diskussionsbedarf hervorriefen: die freie Schwerpunktwahl in Prüfungen, die freie Auswahl von Materialien und Hilfsmitteln und kollaborative Prüfungsleistungen. Die Ergebnissicherung erfolgte durch das stichpunktartige Festhalten der Ergebnisse in einem gemeinsamen Etherpad. Der im Anschluss im Plenum stattgefundene gemeinsame Gedanken- und Erfahrungsaustausch gab viele unterschiedliche Impulse, welche nur noch mehr zum nachträglichen Weiterbilden einluden.
Mein erster Impuls nach dieser Veranstaltung war die Anmeldung zum „Barcamp“ vom Institut für zeitgemäße Prüfungskultur, weil mich als Lehramtstudierende dieses Thema offensichtlich auch selbst betrifft. Zusätzlich sehe ich es mit Hinblick auf die drohende Digitalisierung der Schulen als Pflicht, mich auch in dieser Hinsicht weiterzubilden. Vielen Dank an die Veranstaltenden, dass sie dieses Thema so energetisch und mitreißend gestaltet haben und mit Expertise und Freude diesen Abend begleiteten.
Zeitgemäße Prüfungskultur und alternative Prüfungsformate vom 18.01.2022