Ad hoc digital Lehren und Lernen: Umsetzung alternativer Prüfungsformate

Mit der Durchführung des digitalen Sommersemesters steht nun, bis auf wenige Ausnahmen, auch eine Reihe von digitalen Prüfungen unter besonderen Bedingungen an. In diesem Zusammenhang kommen gleich zwei Herausforderungen auf Dozierende, Studierende und das Personal zur Unterstützung digitaler Lehre zu: die Prüfungen müssen nicht nur auf studentischen Geräten durchgeführt werden, sondern die Studierenden sind räumlich über die unterschiedlichsten Standorte verteilt. Eine Klausur im wortwörtlichen Sinne sieht anders aus! Diese Beitrag gibt einen Überblick über alternative Prüfungsformate und organisatorische sowie prüfungsdidaktische Aspekte, die es bei einer Umsetzung zu beachten gibt.

Open Book oder klassische Klausur? Alternativen zu klassischen Prüfungen in Abgeschlossenheit gibt es viele (Foto: Benjamin Eugster)

Mündliche Prüfungen online durchführen

Viele Prüfungen wurden bereits vor der Umstellung auf Online-Formate mündlich durchgeführt. Gerade für kleinere Prüfungskohorten bieten sich mündliche Prüfungen daher als relativ einfache Lösung dafür an, wie eine Prüfung online durchgeführt werden kann. Durch die Face-to-Face-Situation kann im Gegensatz zu schriftlichen Prüfungen die Eigenständigkeit der Prüfungsleistung ohne Weiteres sichergestellt werden. Eine mündliche Prüfung digital durchzuführen klingt daher auf den ersten Blick fast schon trivial. Trotzdem gibt auch jenseits der allgemeinen Hinweise für mündliche Prüfungen einige Fallstricke einer digitalen Durchführung zu vermeiden. Aus diesem Grund sei hier auf die wichtigsten Kniffe hingewiesen:

  • Nutzen Sie eine Videokonferenzsoftware, die niederschwellig und (datenschutz-) rechtskonform nutzbar ist. An der MLU Halle-Wittenberg wird dafür MLUconf zur Verfügung gestellt, welches auf dem Open-Source-Programm BigBlueButton (BBB) basiert. Beachten Sie dabei, dass eine Aufzeichnung der mündlichen Prüfung i.d.R. rechtlich nicht zulässig ist und das Prüfungsprotokoll nicht ersetzt.
  • Erkundigen Sie sich frühzeitig bei Ihren Studierenden, ob sie über das notwendige Equipment verfügen. Weisen Sie auf mögliche Alternativen hin. Lassen Sie sie einen technischen Testlauf vorab durchführen.
  • Denken Sie den Ablauf der digitalen mündlichen Prüfung genau durch: Wo lassen sich Zugangshürden abbauen? Wo kann der Zugriff auf den Kommunikationskanal gezielt gesteuert werden? Welche zusätzlichen Hilfsmittel sind zugelassen oder werden sogar vorausgesetzt?

Am Beispiel einer Prüfung im DaF-/DaZ-Unterricht haben wir dazu den folgenden, möglichen Ablauf skizziert:

Möglicher Ablauf einer mündlichen Prüfung in Videokonferenz-Raum (Grafik: D-3)

Zur Durchführung einer mündlichen Prüfung mit 15 Minuten Vorbereitungszeit, 45 Minuten Prüfungsdurchführung und 15 Minuten Nachbesprechung könnte sich das Vorgehen schematisch so gestalten, dass sowohl die Vorbereitung, Durchführung und Notenbekanntgabe in demselben Konferenzraum stattfindet. Für die Besprechung zur Bewertung nach der Prüfungsdurchführung kann beispielsweise ein separater Breakoutroom eingerichtet werden, zu dem nur die Prüfenden Zugriff haben. Hier gilt es sicherzustellen, dass zu diesem Zeitpunkt sowohl die Kamera als auch das Mikrofon im Hauptraum der Videokonferenz ausgeschaltet sind.

Bedenken Sie also auch die kleinen Dinge, die im Analogen gerne überschaut werden: Während bei einer klassischen mündlichen Prüfung ein Papier mit einer Aufgabenstellung den Prüflingen die Möglichkeit bot, Notizen sichtbar als Untermalung der eigenen Argumente zu verwenden, müssten entsprechende digitale Möglichkeiten bewusst eingeplant werden. Versuchen Sie daher, zu große Dokumente als Aufgabe direkt via MLUconf zu vermeiden oder stellen Sie diese extern zur Verfügung. Eine externe Bereitstellung über ein Online-Whiteboard erlaubt den Prüflingen zudem eine stärkere Interaktion mit einer Aufgabestellung.


Medienprodukte und Reflexions-Portfolios

Viele Formen von offenen Leistungsnachweisen können auch als alternative Prüfungsformen genutzt werden. Asynchrone Leistungsnachweise wie beispielsweise eine strukturierte Forendiskussion stellen eine niederschwellige Lösung dar, die vergleichsweise wenig organisatorischer Vorbereitung bedarf und stark individualisiert durchgeführt werden kann.

In der Form kleiner Medienprodukte (Videos, interaktive Lerninhalte etc.) kann dabei über die Prüfung der zusammengefassten, analysierten oder reflektierten Lerninhalte hinaus auch die digitale Handlungskompetenz der Studierenden gefördert werden. Damit die Gestaltung der studentischen Medienprodukte in die Bewertung einfließen kann, müssen diese Fähigkeiten auch entsprechend ausgebildet werden. Zu diesem Zweck haben wir für unsere Studierenden eine kleine Handreichung zu studentischen Medienprodukten erstellt, mit der eine erste Heranführung an Tools zur Medienproduktion und Einbindung multimedialer Inhalte ermöglicht werden kann.

Ebenso wie kleinere Medienprodukte setzen auch Reflexions-Portfolios stark auf die Fähigkeiten der Studierenden, gelernte Inhalte zu vernetzen, in Bezug zu setzen und kritisch zu reflektieren. Dadurch sind die Aufgaben hochgradig individualisiert und ermöglichen über den Leistungsnachweis hinaus auch eine ideale Form der Begleitung des persönlichen Lernfortschritts. Genauere Ausführungen zu den didaktischen Möglichkeiten von E-Portfolios sind sowohl  unserem Methodenspicker als auch  unserem Leitfaden zu entnehmen:


"Offene" Online-Klausuren

Was sich als absolutes Paradoxon präsentiert, kann in der Not gut Abhilfe schaffen und im besten Fall zum Mittel der Wahl werden, wenn es darum geht, große Prüfungskohorten mit überschaubarem Aufwand auf Distanz zu prüfen. Unter offenen Online-Klausuren sind Prüfungsformate zu verstehen, die sich analog zu einer klassischen Klausur aus einer begrenzten Zahl von offenen und geschlossenen Fragen zusammensetzen, die aber in einem nur begrenzt kontrollierbaren Setting durchgeführt werden können. Eine differenzierte Darstellung der prüfungsdidaktischen und organisatorischen Anforderungen an offenen Fernprüfungen finden sich bei Stollhoff / Jeremias (2020). Der maßgebliche Faktor bei diesen alternativen Prüfungsformen ist die Zeitbeschränkung. Und darin liegt auch schon der größte Unterschied zwischen den so genannten „Take Home Exams“ und den „Open-Book-Prüfungen“. Denn in der Tat handelt es sich dabei lediglich um eine Unterscheidung in der Abstufung der verwendeten Fragen und der dafür zur Verfügung gestellten Zeit.

Eine „Open-Book-Klausur“ findet in einem vergleichbaren zeitlichen Rahmen wie eine klassische Klausur statt und wird ebenfalls von allen Studierenden gleichzeitig durchgeführt. Im Gegensatz zu einer klassischen Klausurprüfung werden darin jedoch hauptsächlich Kompetenzen und Wissen über Transferaufgaben abgefragt. Grundsätzlich sind während der Prüfung alle verfügbaren Unterlagen konsultierbar, allerding lohnt sich hier auch eine direkte Kommunikation der zugelassenen Hilfsmittel. Denn die Herausforderung auf der Seite der Dozierenden, Fragen zu stellen, die nicht  durch eine einfache Google-Suche zu beantworten sind, besteht auf der Seite der Studierenden darin, dass sie ihre Zeit  für die notwendige Recherche und die Beantwortung aller Fragen sinnvoll einteilen. Während die zeitliche Begrenzung der Prüfungsbearbeitung durchaus dazu dient, einen gewissen Handlungsdruck aufzubauen, ist es dennoch nicht zu empfehlen, eine unrealistisch hohe Anzahl von Fragen zu verwenden. Durch das psychologisch unterschiedliche Rateverhalten können sich dadurch massive Verzerrungen der Ergebnisse ergeben, indem nach dem Motto „der/die Schnellere gewinnt“ falsche Anreize gesetzt werden.

Als „Take Home Exam“ hingegen wird ein offeneres Format bezeichnet, das als eine vorstrukturierte Hausarbeit oder eine zeitlich weniger stark gebundene „Open-Book-Klausur“ verstanden werden könnte. Bei dieser Prüfungsform geht es darum, dass über die Lernplattform eine Aufgabenstellung oder vorstrukturierte Prüfung in einem beschränkten Bearbeitungszeitraum zur Verfügung gestellt wird. Dies kann beispielsweise ein kurzes Essay sein, das innerhalb von drei Tagen geschrieben werden soll. Bei einer vorstrukturierten Prüfung kann dies sogar so eingestellt werden, dass zwei unterschiedliche Zeitrahmen vorgegeben werden und die Prüfung beispielsweise innerhalb von drei designierten Tagen zu einem beliebigen Zeitpunkt gestartet werden kann, ab diesem Zeitpunkt allerdings nur eine beschränkte Zeit zur Verfügung gestellt wird. Über die zufällige Zuordnung von Fragen aus einem größeren Fragepool mit äquivalenten Fragen (sog. Randomisierung) kann zusätzlich gewährleistet werden, dass jede Prüfung einmalig zusammengesetzt ist.


Fazit: Individualisierung und Selbstverantwortung fördern mit alternativen Prüfungsformaten

Die Umstellung auf alternative digitale Prüfungsformate bietet einen beträchtlichen Gestaltungsspielraum. Dabei ist zwar im Gegensatz zu automatisch bewerteten, geschlossenen Online-Prüfungen mit einem erheblich größeren Korrekturaufwand zu rechnen. Jedoch kann durch viele der geschilderten Formen der Leistungskontrolle ein Grad der Individualisierung und Kompetenzorientierung erreicht werden, der mit einer klassischen Klausur kaum zu erreichen ist. Insgesamt stellt sich in dieser unsicheren Situation bei einer „ad hoc“-Umstellung auf Online-Prüfungsbetrieb die Frage, wie wir die Digitalisierung gestalten möchten. Gerade deshalb wäre das Digitalsemester eine gute Gelegenheit, gewisse Prüfungspraktiken kritisch zu überdenken und in der didaktischen Gestaltung die vielfältigen Freiräume zu nutzen anstatt auf technologisch unsichere und ethisch fragwürdige Experimente zu setzen. Damit haben alternative Prüfungsformate eine ganz konkrete und bedeutende Funktion: sie fordern jenseits von Standardisierung und Überwachung eine klare Individualisierung des Studiums und das Vertrauen in die Selbstverantwortung der Studierenden ein.

Weiterführende Informationen zur Durchführung von Online-Prüfungen und Leistungsnachweisen

Schreibe einen Kommentar